Anderthalb Meter

Corona Tagebuch Woche 9

In manchen Situationen hilft in dieser Woche nur das Herausholen und Aufzeigen eines Zollstocks. „ Das sind 1,5m!“ wie es der Fahrer der Hafenfähre gemacht hat. Auf den Fußwegen hilft nur der Sprung hinter eine Hecke, in den Hauseingang oder einen Haken zu schlagen. Kontaktabstand war gestern. Verlängert ist er durch die Bundesregierung bis zum 15.Juni. 

Brot, Oliven, Tomaten, Käse und zwei kühle Bier wandern in meinen kleinen Rucksack. Treffpunkt Anleger Alte Rabenstrasse. Fast schon ein Ritual, wenn das Wetter einladend und wir auf der Suche nach einer schnellen Auszeit nach Feierabend sind. „Wenn es zu voll ist drehen wir um, oder?“ Müssen wir nicht, der Steg ist locker besetzt und der Ausblick auf die Alster in der Abendsonne einfach schön.

Ein paar Meter weiter auf der Alsterwiese dann die Trend Veranstaltung, Outdoor Disco. Der sandige Weg an der Alster, Trend Sport Joggen und Radfahren. Trend Treffen an der Brückenmauer der Krugkoppel mit Kaltgetränk und Live Musik einer zweiköpfigen Corona Band. Die Musik eher Evergreen, Beatles. Wahnsinn was hier heute Abend los ist. Wir schwanken zwischen Entrüstung, Sorge und leiser Begeisterung für diese besondere Stimmung. Haken schlagen ist uns zu anstrengend und so wechseln wir auf die leere, schattige Straßenseite.

Abstandsregeln im Alltag scheinen uns leichter zu fallen. Im Stadtteil erlebe ich täglich geduldig wartende Menschen vor der Post, wo der Einlass in das 200qm große Postgeschäft durch Security für den Einlass von je einer Person geregelt wird. Beim Bäcker die gleiche geduldige, disziplinierte Schlange mit 3m Kontaktabstand, minimum. Letzteres führt bei uns zu einer Corona Brötchen Diät, ersteres zu weiterem Unmut auf unsere Beamte. Fehlt nur noch das Schild: Bitte/nicht/füttern.

Komm mir nicht zu nahe. Ist das die stumme Botschaft dieser Abstandsregelung? Wenn ich wie eine Boxerin ausweiche, mich auf das nächste Ausweichmanöver konzentriere, einen taktischen Haken schlage, sind dann die 1,5 Meter meine, deine oder unsere gemeinsame Sicherheit? 

Schon wird öffentlich diskutiert, ob wir uns zu einer Abstandsgesellschaft entwickeln. Ich mag es nicht, wenn mir jemand „auf die Pelle rückt“, aber immer diese 1,5m Distanz? Ich beobachte wütende Mütter, um deren kleine Kinder ein großer Bogen gemacht wird. Virenschleudern, was für ein Wort. Ältere Menschen die sich im Supermarkt ohne Mundschutz und Distanz an der Kassiererin vorbeischieben und bitter die Zustände beklagen. Abstandsregeln machen einsam.

Ich reiche dir die Hand. Im Supermarkt hat es der freundliche Security Mann versucht: „Sie sind doch jeden Tag hier und kennen die Regel. Halten Sie sich bitte daran.“ Ich kenne dich, ich weiß das du die Regeln kennst und sie manchmal nicht einhalten kannst, ist meine Übersetzung. Er hat versucht den Abstand zwischen sich und dem alten Mann zu verkürzen. 

Sobald die Hotels in Brandenburg wieder öffnen, wollen auch wir den Abstand zu Kindern und Enkelkindern verkürzen. Ein Treffen im Neuen Garten in Potsdam auf 1,5m Abstand ausgebreiteten Picknickdecken. Hoffentlich ist das der Oma nahe genug:)

…….was sonst noch war? Kosmetikhersteller beklagen einen drastischen Rückgang beim Umsatz von Lippenstift. Rote Lippen sind unter Mundschutz irrelevant.