sabah-al-khair Jerusalem

5.00  Lutheraner Hospiz. Die Hälfte unserer Gruppe wartet im Foyer auf Pastor Lohse. Er hat uns freigestellt ihn heute Morgen zu begleiten. Die Straßen liegen im gelblichen Dunkel, außer uns scheint niemand unterwegs zu sein. Auf dem Vorplatz strömen dann aus allen Richtungen Menschen zum Eingang der Grabeskirche.

Die Grabeskirche ist in den Händen von sechs christlichen Konfessionen: die Hauptverwaltung haben die griechisch-orthodoxe, die römisch-katholische, vertreten durch den Franziskaner Orden, und die armenisch-apostolische Kirche. Die im 19.Jahrhundert hinzugekommene syrisch-orthodoxe, die Kopten und die äthiopisch-orthodoxe Kirche haben nur kleinere Schreine. Protestantische Kirchen sind nicht vertreten. In Fernsehreportagen habe ich gesehen, wie der Anspruch der großen Religionsvertreter in Streitigkeiten endet, wenn es um die Einhaltung der Gottesdienst-Zeiten geht oder um die Schlüsselgewalt. Mit Frömmigkeit und Nächstenliebe hat das wenig zu tun. Heute morgen bin ich allerdings zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Die Dimension der Kirche, Bilder, Kronleuchter, Kerzenständer, Öllampen, Altäre, Fresken, alles in beeindruckender Größe.

Bernd hat mir schon vorher erzählt, dass er einen Stein in die Grabhöhle Jesu legen möchte. Wer weiß welche das ist? Ich habe mir nichts vorgenommen, lasse mich treiben, beobachte und nehme die Stimmung in mich auf. Alle flüstern nur, gehen andächtig und ehrfürchtig. Golgotha – das Kreuz, durch eine kleine Öffnung unter einem Altar kann man den Felsen berühren. In die Gruft kann man hinabsteigen. Ich sehe Menschen, die tief bewegt sind, auf Knien liegend, die Hände zum Himmel strecken, Gebete sprechen und Felsen berühren. Wie vielfältig die Möglichkeiten sind zu seinem Gott zu beten. Anderthalb Stunden später streben wir hinaus, hinein werden es immer mehr. Mir fällt ein junges Pärchen, beide Anfang 20, auf.“ I can’t believe this holy shit.“ verkündend, eilt der junge Mann seiner Freundin hinterher.

“ Das ist eine tolle Geschichte mit der kleinen Leiter da oben. Die Kirche wird abends von innen verschlossen. Derjenige verläßt sie dann über diese kleine Leiter am oberen Fenster. Am Morgen das gleiche Prozedere rückwärts. Der Schlüssel wird seit Jahrhunderten von einer muslimischen Familie aufbewahrt. Eine andere muslimischen Familie öffnet und schließt die Kirche.“ erklärt uns Bernd. Kompetenzgerangel. Auf dem Dach der Kirche befindet sich das koptische Kloster. Nicht sehr einladend. Die grünen Türen sind Eingänge zu verschiedenen Schreinen. Vor einer betet eine Äthiopierin.

Jerusalem ist erwacht. Wir kehren zum Hospiz zurück um mit den anderen Pilgern zu frühstücken.

Die Morgenandacht halten wir auf einem der zahllosen begehbaren Dächer der Stadt. “ Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Bernd beginnt diesen Tag mit dem Satz aus dem Lukas Evangelium. Es geht um die Auferstehung Jesu. Ich begreife die Frage auch in Bezug auf unsere Reise.

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Hewenu schalom alejchem/ hewenu schalom alejchem/hewenu schalom alejchem/hewenu schalom, schalom, schalom,alejchem. Wir wollen Frieden für alle, Frieden für die Welt.

Mit Blick über die Stadt gibt Bertil uns eine grobe Orientierung: das muslimische Viertel mit seine Kuppeldächern, das christliche mit seinen roten Ziegeldächern und das jüdische mit seinen neuen Gebäuden. Die Kirchtürme, Kreuze und Minarette stehen dicht beieinander und ergeben eine bunte, friedliche Vielfalt – von hier oben.

Unser Weg führt Richtung Zionstor zum Zionsberg. Vorbei an der freigelegten ehemaligen Hauptstraße aus römisch-byzantinischer Zeit. Cardo Maximus. Die Straße war mehr als 22m breit. Vor den Geschäften zur Hälfte überdacht, die andre Hälfte für die Fuhrwerke. Der Cardo bildete die Nord/Südachse der Stadt in römischer Zeit vom heutigen Damaskustor zum Misttor.

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Durch das Javator geht es auf den Berg Zion. Wir besichtigen die Kirche Dormitio, zu Ehren der Entschlafung Maria, das Grab des König David, und den Abendmahlsaal.

Die Fresken in der Krypta stellen Frauen aus dem alten Testament dar. Bertil nennt sie Power- Frauen. Die will ich sehen. Leider gibt es keine weiteren Erklärungen, die Namen Rut, Ester und Isebel machen die Runde. Hausaufgabe. Im Saal des letzten Abendmahl können wir uns einen großen Esstisch, an dem Jesus mit seinen Jüngern das Mahl eingenommen hat, vorstellen. Der Raum hat etwas „Alltägliches“. Ganz im Gegensatz zum Erdgeschoß, wo der Sarkophag des Propheten David steht. Männer und Frauen haben getrennten Zugang – Kopfbedeckung und Schulterbedeckung bei den Frauen ist vorgeschrieben. In einem Haus finden wir hier Synagoge, Moschee und ein christliches Relikt. Bernd spricht von den Schichtungen in Israel.

Von der Dachterrasse eines öffentlichen Gebäudes können wir einen ersten nahen Blick auf den Tempelberg mit der al-Aqsa- Moschee, dem Felsendom und der Klagemauer werfen. Bilder, die wir alle aus den Medien kennen. Krisenbericht- Erstattung im Nahen Osten. Sie sind zum Symbol für Gewalt und Angst geworden. Kleine Auseinandersetzungen, so Bertil, werden großformatig in die Welt gesendet. Die Macht der Bilder hat mich jahrelang von dieser Reise abgehalten. Ich bin froh hier zu sein.

Dort wo heute der Felsendom steht, wurde erst der Salomonische Tempel und nachfolgend der Herodianische auf dem künstlichen Plateau erbaut. An der Klagemauer, dem Rest der Mauer die das gesamte Areal umgab, beklagen die Juden den Verlust ihres Tempel, zerstört von den Römern. Geschichte in Kurzfassung. Seit der 2. Intifada im Jahr 2000 haben nur noch Muslime Zutritt zu ihrem Heiligtum, dem Felsendom, und der al-Aqsa-Moschee. Der Tempelberg ist der umstrittenste, heilige Ort der Welt.

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Durch eine Sicherheitsschleuse gelangen wir auf den Vorplatz der Klagemauer, dem Hof der Völker. Am Eingang für weibliche Besucher werde ich aufgefordert, meine Kette mit Kreuz abzunehmen. Der kleine Platz ist dicht gedrängt mit Betenden/Trauernden. Den Männern steht doppelt soviel Platz zur Verfügung. Ich suche mir einen Stuhl und setze mich in das hintere Drittel. Die Distanz fühlt sich richtig an. Ich kenne keine der religiösen Riten, die die Juden hier praktizieren: Becher an einem Brunnen für Waschungen, Gebetsrituale und Gebetshaltungen, das Einstecken von kleinen Zetteln, rückwärts gehenden Frauen. Pastor Lohse spricht von Gebeten die durch Mauern gehen. Ein starkes Bild, und eine Hilfe für mich, die Klagemauer und die Klagenden zu verstehen.

Freier Nachmittag! Im Sommeroutfit einfach mal durch den Suq zu schlendern, die am Morgen gesehen Silberohrringe in einer kleinen Goldschmiede erstehen, Sachertorte und Einspänner im Österreichischen Hospiz genießen.

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Das hat gut getan, dem Kopf und der Seele eine kleine Verschnaufpause zu gönnen. Unsere Abendrunde spiegelt das wieder: es wir gekichert und laut gelacht über all die fröhlichen Erlebnisse beim Souvenir Shopping und Kaffeekränzchen. Gute Nacht Jerusalem.