Neve Shalom – Tel Aviv – Hamburg

4.30 Bethlehem Abrahams Herberge. Der Ruf des Muezzin ist heute morgen besonders laut, das Minarette steht direkt vor unserem Zimmer. Nach zehn Tagen fühlt sich der Ruf  „Allaaaaah“ alltäglich und vertraut an.

Ähnlich ergeht es mir beim letzten Kofferpacken. Viermal haben wir in dieser Zeit das Quartier gewechselt. Sachen raus und rein, suchen, umschichten, neu sortieren. Weniger wäre hier sicher mehr gewesen.

Beim Verlassen der Stadt sehe ich die Mauer, die das Westjordanland von Israel trennt. Sicherheitsmaßnahme. Passieren kann nur, wer eine Genehmigung von der Israelischen Regierung hat. Innerhalb der Stadt teilt die Mauer Straßen und Wohngebiete und schafft Ghettos. Im Vorbeifahren entdecke ich das Graffiti `Flower Thrower` des Amerikaners Banksy an einer Tankstelle.

Das Mauer- Thema findet in unserer Gruppe keinen Platz. Bertil begnügt sich mit dem Hinweis, dass es sie gibt. Ein schweres und schwer erklärbares Thema in diesem Land. Der letzte Programmpunkt vor unserer Abreise ist das Dorf Neve Shalom. Hier leben palästinensische und jüdische Familien gleichberechtigt und friedlich miteinander. Das Ungesagte von heute Morgen bekommt nun doch noch Raum.

Rita, ein Gründungsmitglied und im Vorstand tätig, begrüßt uns in einem Gruppenraum des Dorfes. An Ihrer Seite junge Frauen um die 20 Jahre alt, auch ihre Tochter ist dabei. Rita spricht mit Stolz von der „next generation“. Seit den 1970 er Jahren leben hier auf den Hügeln von Latrun jüdische und palästinensische Familien gleichberechtigt und friedlich miteinander. Nun sind es ihre Kinder, die die Idee weiterleben und das Projekt in die Welt tragen. Wenn dieser Schritt gelingt, wird das Dorf weiter bestehen und seine Projekte Früchte tragen. Die Anfrage von ca. 90 weiteren Familien, die sich in nächster Zukunft hier ansiedeln wollen, trägt auch dazu bei.

Im Dorf gibt es eine binationale, bilinguale und interreligiöse Grundschule. Arabische Kinder sprechen meist jüdisch – umgekehrt nicht. Man versteht sofort wie elementar die Zweisprachigkeit in diesem Frühstadium ist. „Education is the main thing!“ Die Friedensschule, das Peace College, Sommercamps für Praktikanten und Studenten sind weitere „main things“. Mittlerweile spricht Rita über eine Stunde und ermahnt uns sie zu stoppen, da Sie noch stundenlang von ihren Projekten und dem „change of minds“ erzählen könnte. Da haben wir keinen Zweifel. Unter www.wasns.org kann jeder mehr darüber erfahren.

“ Wo betet ihr?“ Wie funktioniert hier, was im übrigen Land zu Aus-und Abgrenzung führt? „A simple basic place – the common language is silence – sit on  the floor, cloth your eyes and be with your confession.“ Dieser einfache Ort ist eine Kugel mit fünf runden Fenstern zum Himmel, für alle großen Weltreligionen eins. Bernd stellt seinen Pilgerstab in die Mitte und wir folgen Ritas Rat: setzen uns auf den Fußboden, genießen den Ausblick und die Stille.

„All celebrate the holy days and talk about light.“

Unsere Pilgergruppe versammelt sich im angeschlossenen Hotel zum letzten arabischen Mittagessen und dann heißt es Abschied nehmen. Bernd läßt unser Pilgerreise nochmal vor unserem inneren Auge ablaufen, bevor wir in die unpersönliche Atmosphäre des Flughafen eintauchen. Ich nutze die Gelegenheit um Bertil mit einer Umarmung zu verabschieden. Adel, unser Busfahrer, wird mit einem Trinkgeld, großem Applaus und Dank verabschiedet. „Alla da?“ war seine tägliche Frage, die wir ihm heute lachend  zurückgeben. „Alla da!“

Bertil bringt uns bis zur letzten Kontrolle – noch einmal umdrehen und winken. „Wir sehen uns nächstes Jahr in Tel Aviv!“